Der aussergewöhnlich aussichtsreiche Weg von
den Lacs de Vens über den Energieweg' zum Lac de Rabuons
gehört zu den klassischen Wanderzielen im Haute Tinée. Und
straft damit ganz nebenbei all Jene Lügen, die die Seealpen auf
deren äußerste östliche Region um Argentera und Mont
Bégo reduzieren.
Was da von Gletschersee zu Gletschersee führt
und zum Teil aus dem schieren Felsen geschlagen wurde, der Chemin de
l'Energie, ist von der Elektrizitätsgesellchaft Energie Electrique
du Littoral Méditerranéen' in den 30-er Jahren des letzten
Jahrhunderts angelegt worden, als jedes Département noch für
die eigene Stromversorgung zuständig war. In St. Etienne-de-Tinée
sollte ein von beiden Seen gespeistes Wasserkraftwerk entstehen, und
für die Arbeiten an diesem Projekt mußte - auf circa 2.400
Meter Höhe - eine Verbindung geschaffen werden. Das Kraftwerk wurde
nie realisiert, der Weg aber fast fertiggestellt.
Viel früher als die Kraftwerksbauer hatten
aber bereits die Herschaften vom Club Alpine Français, allen
voran wie immer der umtriebige Victor de Cessole, die Region entdeckt
und unterhalb des Mont Ténibre (3.031 m) das Refuge de Rabouns
errichtet. Zur feierlichen Einweihung am 15. Juli 1905 wurde auch ein
Bötchen mit zum Refuge gebracht, dort am See auf den Namen Chamois'
getauft und zu Wasser gelassen. Die Tiefe des größten natürlichen
Sees im Département sollte exakt bestimmt werden. 40 Meter in
der Mitte des Sees, lautete das Ergebnis.
Soviel zum Chemin de l'Energie',
der meist im Rahmen einer 2-Tages-Wanderung mit Ausgangspunkt St-Etienne-de-Tinée
und wahlweiser Übernachtung im Refuge de Rabouns (2.524 m) oder
Refuge de Vens (2.380 m) begangen wird.
Viel, viel schöner ist es aber, dieses
attraktive Wegstück im oberen Tinéetal in eine grenzüberschreitende
Wanderung einzubinden und über alte, aber bestens erhaltene Schmugglerpfade
auch die Nordseite des Massivs im italienischen Sturatal zu erkunden.
Wo die rote okzitanische Fahne weht ist gutes bis ausgezeichnetes Essen
garantiert, mit ein wenig Glück zu den Klängen der Ghironda!
Als Ausgangsorte für diese 5-Tage-Wanderung
eignen sich im Norden Pontebernardo und Ferrere im Sturatal, im Süden
St.Etienne-de-Tinée, wo die folgende Kurzbeschreibung auch ansetzt
- obwohl gleich zu Beginn 1400 Höhenmeter bis zum Refuge de Rabouns
zu bewältigen sind.
Dafür läßt sich dann am See idyllisch rasten unterhalb
der Bergkette zwischen Corborant und Mont Ténibre, die die Sicht
hinüber nach Italien versperrt'.
Das Sturatal muss noch ein wenig warten,
denn zunächst geht es auf dem Chemin de l'Energie' fast immer
direkt an der Außengrenze des Parc National du Mercantour entlang
im Uhrzeigersinn Richtung Refuge de Vens. Dieser Weg ist - ohne wenn
und aber - ein Kunstbau, der begeistern kann. Eine Trassierung, die
Höhenunterschiede trotz schwierigstem Gelände geschickt umgeht,
mit kurzen Tunneln da, wo es nun wirklich nicht anders ging. Und das
Ganze verbunden mit einer Aussicht auf das Tal der Tinée, die
kaum besser sein könnte: ein 180-Grad-Panorama von der Cime de
la Bonette im Westen, um die herum die höchste Straße
der Alpen' auf eine Höhe von 2.802 Meter führt, bis weit über
den Mont Mounier im
Osten hinaus.
Vom sehr schön oberhalb der Seenkaskade
der Lacs de Vens gelegenen gleichnamigen Refuge geht es weiter, vorbei
an einem imposanten Steintor, dem Arc de la Tortisse, zum Colle di Ferro.
Dass beim Grenzübertritt gleich der Monviso auszumachen ist, passt
gut zu dieser Panoramawanderung!
Auf Pfaden, die früher für den kleinen
Grenzverkehr' genutzt wurden, hinunter in den kleinen Weiler
Ferrere, wo die Comunità Montana Valle Stura dazu passend das
"Mizoun del Contrabandier" eröffnet hat.
Über den Colle di Stau und wieder
hinunter zum Almgebiet Prati di Vallone geht es nun über Wege,
die deutlich militärischen Ursprung erkennen lassen, aber damit
nicht minder interessant sind. Bis für die letzte Etappe vom Rifugio
Migliorero (mit Jugendstilleuchten im Treppenhaus!!) zurück zum
Refuge de Rabouns noch mit dem Pas d'Ischiator (2.843 m) ein anstrengendes
Wegstück zu überwinden ist.
Diesen Weg nahm 1905 auch die italienische Delegation des CAI, die Victor
de Cessole - trotz sehr angespannter Lage zwischen Frankreich und Italien
- zur Einweihung des Refuge de Rabouns geladen hatte.
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